Torhalle Lorsch

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Westseite der Torhalle, 2009
Ostseite der Torhalle, 2007

Die Torhalle (auch Königshalle) des ehemaligen Klosters Lorsch ist ein spätkarolingischer Bau, der um 900 errichtet wurde. Er wird der Epoche der karolingischen Renaissance zugerechnet, seine frühere Funktion ist Gegenstand verschiedener Hypothesen. Die vielfarbige Fassade der Torhalle ist ein bedeutendes Beispiel für antike Bauformen und Werktechnik im Frühmittelalter. Das Gebäude wurde als letzter oberirdisch sichtbarer Teil der karolingischen Klosteranlage 1991 zusammen mit den übrigen baulichen und archäologischen Resten der mittelalterlichen Klosteranlage in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen.

Architektonische Beschreibung

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Kompositkapitell

Beschreibung des Bauwerks

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Die Außenseite

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Die Torhalle befindet sich auf der westlichen Seite des Klosterareals. Sie ist ein relativ kleines Bauwerk: 10,9 Meter breit, 7,2 Meter tief und bis zum First etwa 14 Meter hoch. An beiden Schmalseiten befinden sich etwa 3 Meter breite, halbrunde Treppentürme. Die Längsachse verläuft mit wenigen Grad Abweichung von Nord nach Süd. Dahinter sieht man östlich in etwa 80 Metern Entfernung den Rest der früheren Klosterkirche. Die Architektur der Torhalle ist weitgehend symmetrisch zur Längs- wie zur Querachse. Die Vorder- und Rückseite der Torhalle sind reich dekoriert mit antikisierenden Bauelementen auf einer ornamentalen Fassade aus roten, beigen und weißen Steinen. Die Schmalseiten mit ihren Treppentürmen sind schmucklos. Vertikal ist die Halle in zwei Stockwerke und ein hohes Giebeldach gegliedert. Auf dem Dachfirst ist auf der nördlichen Seite ein Glockentürmchen aufgesetzt. Über die ganze Breite des Erdgeschosses bilden drei offene, halbrunde Tore einen lichten Durchgang, der in einer Achse mit dem dahinter liegenden Portal des Kirchenrests beide Gebäude optisch verbindet. Links und rechts werden die Tore von Halbsäulen eingerahmt. Bögen und Pfosten der Tore sind ebenso wie die Säulen aus kräftigen roten bis rotbraunen Sandsteinen aufgebaut. Die Säulen enden in Kompositkapitellen aus weißem Kalkstein, auf denen ein schmaler Fries aus hellem Sandstein mit Blattornamenten liegt, der Ober- und Untergeschoss trennt. Vor der Fassade des Obergeschosses treten flache Arkaden hervor, die jeweils aus kannelierten, monolithischen, roten Sandstein-Pilastern mit ionischen Kalkstein-Kapitellen und Dreiecksgiebeln, wiederum aus kanneliertem Sandstein, zusammengesetzt sind. Die neun Arkaden des Obergeschosses sind regelmäßig über den drei Toren im Untergeschoss angeordnet. Auf der Westseite sind in der zweiten, fünften und achten Arkade, mittig über den Torbögen darunter, schmale Fenster integriert. Auf der Ostseite dagegen fehlt das Fenster über dem mittleren Tor. Säulen, Kapitelle, Fries und Arkaden treten vor einer Fassade aus Sandsteinkacheln verschiedener Farben hervor. Im Obergeschoss sind dies rote Sechsecke verbunden durch helle Dreiecke. Darunter im Untergeschoss sind dies bis zur Höhe der Tore auf den Spitzen stehende Quadrate, abwechselnd weiß und rot. Die geometrisch schwierigeren Bogenzwickel der Torbögen füllen recht- und dreieckige Kacheln unterschiedlicher Breite, wiederum in weiß und rot. Die prächtige, auffällige Dekoration lässt erkennen, dass es sich bei der Torhalle nicht um ein gewöhnliches Gebäude, sondern um ein Schmuckstück handelt, das bei Bewohnern und Besuchern des Klosters Erstaunen und Bewunderung bewirken soll. Eine Funktion, die die Torhalle bis heute erfüllt.[1][2]

Die Innenräume

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Das Erdgeschoss bildet durch die offenen Tore auf der West- und Ostseite einen lichten Durchgangsraum. Die Wände der Schmalseiten sind aus einfachen Bruchsteinen aufgemauert und weiß verputzt. In Sandstein eingefasste, hölzerne Türen geben Zugang zu den Treppentürmen, die ins Obergeschoss führen.

Auch das Obergeschoss ist wie die Durchgangshalle darunter nicht weiter baulich unterteilt, sondern bildet einen großen Raum, der durch insgesamt acht Fenster viel Licht erhält. Alle vier Seiten zeigen Reste von Bemalungen auf weißem Putz. In die Wand auf der Ostseite ist in der Mitte eine etwa zwei Meter breite Nische ausgebrochen, in die einmal ein Altar eingelassen war, der heute nicht mehr vorhanden ist. Der Raum wird durch ein hölzernes Tonnengewölbe zum Dach hin abgeschlossen.[3][4]

Lange Zeit wurde vermutet, dass die Halle 774 gebaut wurde, als Karl der Große als Sieger über die Langobarden aus Italien zurück kehrte.[5] Der Bau der Torhalle lässt sich jedoch nach Radiocarbonmessungen, die 2016 veröffentlicht wurden, auf die Zeit um 900 eingrenzen.[6]

Innenraum: Links die Altarnische

Während die Fassade der Halle kaum verändert wurde, erfuhr der Innenraum mehrere Umbauten, die auf eine Umnutzung des Raumes hindeuten. Ursprünglich befand sich im ersten Obergeschoss eine architektonische Bemalung mit einer Säulenreihe auf einem Sockel aus verschiedenfarbigen Quadern. Aufgrund der Art der Bemalung geht man von einer weltlichen Nutzung der Halle zu dieser Zeit aus. Im 11. oder 12. Jahrhundert wurde das mittlere Fenster der Ostwand vermauert, um Platz für eine Altarnische zu schaffen. Die Ostwand erhielt eine figürliche Malerei, was auf eine sakrale Nutzung hindeutet. Um 1400 erhielt die Halle ein steileres gotisches Dach, um Platz für eine halbrunde hölzerne Tonne zu schaffen, welche die vermutlich flache Decke des ersten Obergeschosses ersetzte. Die Wände des Obergeschosses wurden ganz mit figürlichen Darstellungen bemalt.

Auf Anweisung des Mainzer Kurfürsten und Erzbischofs Lothar Franz von Schönborn wurde 1697 die Erdgeschossdecke entfernt, die östlichen Bögen wurden vermauert und die westlichen Bögen mit Türen versehen. 1724 erhielt der Bau neben einem neuen gleich hohen Dach eine flache stuckierte Decke und einen neuen Verputz im Innenraum. 1797 stand der Abriss kurz bevor, da die Halle auf Abriss versteigert wurde. Die Rettung erfolgte durch Großherzog Ludwig I. von Hessen-Darmstadt, der die Halle erwarb und vor dem Abriss bewahrte. 1842 stürzte trotz der Bemühungen um die Erhaltung der Halle der nördliche Treppenturm ein. Er wurde während einer ersten Restaurierung der Halle 1934/35 wiederaufgebaut. Bei dieser Restaurierung versuchte man den ursprünglichen Zustand der Halle wiederherzustellen, weshalb man die barocke Decke entfernte, die Bögen im Erdgeschoss öffnete und im Erdgeschoss wieder eine Decke einbaute. Bei einer späteren Restaurierung wurden im Obergeschoss die gotische Tonne und die Bemalung rekonstruiert. Im Zuge von Restaurierungsarbeiten an der Fassade zwischen 2012 und 2014 wurde die Fassade systematisch untersucht, um möglicherweise unbekannte bauliche Details zu finden, die Rückschlüsse auf den ursprünglichen Zweck der Halle geben könnten.[7] Seit 2010 finden archäologische Grabungen zur Vor- und Frühgeschichte des Klosters statt, in deren Rahmen seit 2015 insbesondere die Umgebung der Torhalle untersucht wird und bei der eine Reihe von Gräbern in unmittelbarer Umgebung gefunden wurden.[8]

Frühere Funktion

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Die ursprüngliche Funktion der Torhalle ist in der Forschung umstritten. Nach Jahrhunderten der Vergessenheit wurde das ungewöhnliche Gebäude 1812 von Johann Konrad Dahl, dem Stadtpfarrer von Gernsheim, als Torhalle in der Klostermauer interpretiert.[9] Doch Grabungen ergaben 1927/28, dass das Gebäude immer frei stand.[10] In der Diskussion sind die Nutzung als „Königshalle“ mit einem Saal für Empfänge und Gerichtsbarkeit,[11] als „Ehrenbogen“[12] sowie als Bibliothek.[13] Den jüngsten Deutungsvorschlag brachte 1999 Romano Silva in die Diskussion ein. Silva verbindet die Lorscher Torhalle mit der alttestamentlichen Beschreibung einer Gerichtslaube im Hof des Palastes von König Salomo (1 Kön 7,8 VUL: Et domuncula, in qua sedebatur ad iudicandum, erat in media porticu, domuncula = „kleines Haus“).[14] In diesem Sinne deutet auch Matthias Untermann die Architektur der Torhalle mit ihren zwei Treppentürmen und der gemalten Architektur einer „offenen Laube“ im ersten Obergeschoss als Ort eines „offenen Gerichts“.[15] Die Lorscher Torhalle wäre nach dieser Lesart ein repräsentativer Bau im Eingangsbereich der Klosterkirche, in dem die Äbte der Reichsabtei oder ihre Stellvertreter die Gerichtsbarkeit ausübten.

Touristische Bedeutung

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Ende 2012 begannen umfassende Maßnahmen zur Neugestaltung des Welterbeareals. Ziel dieser Umbaumaßnahmen ist, die Erlebbarkeit des ehemaligen Klosters Lorsch zu verbessern. Zu diesen Maßnahmen zählt die landschaftliche Freistellung der klosterzeitlichen Gebäude, der Torhalle, der Klostermauer und des Kirchenrestes und der Umbau der Zehntscheune zu einem auch virtuell erklärenden Museum.[16]

  • Werner Jacobsen: Die Lorscher Torhalle. Zum Problem ihrer Datierung und Deutung. Mit einem Katalog der bauplastischen Fragmente als Anhang. In: Jahrbuch des Zentralinstituts für Kunstgeschichte. Bd. 1, 1985, S. 9–75.
  • Katarina Papajanni: Lorsch, Torhalle – Mauertechnik. In: Katarina Papajanni, Judith Ley (Hrsg.): Karolingerzeitliche Mauertechnik in Deutschland und in der Schweiz. Schnell und Steiner, Regensburg 2016, S. 177–186.
  • Kerstin Merkel: Die Antikenrezeption der sogenannten Lorscher Torhalle. In: Kunst in Hessen und am Mittelrhein. Bd. 32/33, 1992/93, S. 23–42.
  • Matthias Untermann: Die „Torhalle“. In: Kloster Lorsch. Vom Reichskloster Karls des Großen zum Weltkulturerbe der Menschheit. Ausstellung Museumszentrum Lorsch, 28.5.2011–29.1.2012. Imhof, Petersberg 2011, S. 194–214.
  • Thomas Ludwig: Die Lorscher Tor- oder Königshalle. Ein außen und innen reich geschmücktes karolingisches Bauwerk (= Kleine Kunstführer. Band 2575). Schnell & Steiner, Regensburg 2006, ISBN 978-3-7954-6565-0.
  • Hans Michael Hangleiter, Stefan Schopf: Untersuchungen historischer Oberflächen und Farbigkeiten in der Lorscher Torhalle, in: Matthias Exner (Hrsg.), Wandmalerei des frühen Mittelalters, München 1998, ISBN 978-3-87490-663-0, S. 17–34, online.
Commons: Torhalle Lorsch – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Matthias Untermann: Die »Torhalle«. In: Kloster Lorsch. Vom Reichskloster Karls des Großen zum Weltkulturerbe der Menschheit. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2011, ISBN 978-3-86568-643-5, S. 194–214, hier S. 194-198.
  2. Thomas Ludwig: Die Lorscher Tor- oder Königshalle. Ein außen und innen reich geschmücktes Bauwerk. Verlag Schnell und Steiner, Regensburg 2016, ISBN 978-3-7954-1753-6, hier S. 29-44.
  3. Matthias Untermann: Die »Torhalle«. In: Kloster Lorsch. Vom Reichskloster Karls des Großen zum Weltkulturerbe der Menschheit. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2011, ISBN 978-3-86568-643-5, S. 194–214, hier S. 199-200.
  4. Thomas Ludwig: Die Lorscher Tor- oder Königshalle. Ein außen und innen reich geschmücktes Bauwerk. Verlag Schnell und Steiner, Regensburg 2016, ISBN 978-3-7954-1753-6, hier S. 45-53.
  5. Königshalle. In: UNESCO-Welterbe Kloster Lorsch. Abgerufen am 3. April 2024.
  6. Katarina Papajanni: Lorsch, Torhalle – Mauertechnik. In: Katarina Papajanni, Judith Ley (Hrsg.): Karolingerzeitliche Mauertechnik in Deutschland und in der Schweiz. Schnell und Steiner, Regensburg 2016, S. 177–186, hier S. 177.
  7. Torhalle Lorsch (Hessen). In: Lehrstuhl für Baugeschichte der TU München (Website).
  8. Dieter Lammers: Archäologische Forschungen im Kloster Lorsch. In: Institut für Europäische Kunstgeschichte, Universität Heidelberg, 25. Februar 2016.
  9. Johann Konrad Dahl: Historisch-topographisch-statistische Beschreibung des Fürstenthums Lorsch. Stahl, Darmstadt 1812, S. 223f.
  10. Friedrich Behn: Die Ausgrabungen im Kloster Lorsch. In: Zeitschrift für Denkmalpflege. Bd. 3, 1928, S. 20–35, hier S. 23f. Vgl. Marion Bayer: Eine Geschichte Deutschlands in 100 Bauwerken. Köln 2015, S. 29.
  11. Alois Fuchs: Die Königshalle des Klosters Lorsch. In: Ders.: Die karolingischen Westwerke und andere Fragen der karolingischen Baukunst. Paderborn 1929, S. 73–90, hier S. 83–90.
  12. Werner Jacobsen: Die Lorscher Torhalle. Zum Problem ihrer Datierung und Deutung. Mit einem Katalog der bauplastischen Fragmente als Anhang. In: Jahrbuch des Zentralinstituts für Kunstgeschichte. Bd. 1, 1985, S. 9–75, hier S. 35f.
  13. Kerstin Merkel: Die Antikenrezeption der sogenannten Lorscher Torhalle. In: Kunst in Hessen und am Mittelrhein. Bd. 32/33, 1992/93, S. 23–42, hier S. 33–42.
  14. Romano Silva: „Et domuncula, in qua sedebatur ad iudicandum, erat in media porticu“: alcune considerazioni sulla Königshalle di Lorsch. In: Antonio Cadei (Hrsg.): Arte d’Occidente. Studi in onore di Angiola Maria Romanini. Bd. 1, Rom 1999, S. 41–47.
  15. Matthias Untermann: Die „Torhalle“. In: Kloster Lorsch. Vom Reichskloster Karls des Großen zum Weltkulturerbe der Menschheit. Ausstellung Museumszentrum Lorsch, 28.5.2011–29.1.2012. Imhof, Petersberg 2011, S. 194–214, hier S. 208, sowie Matthias Untermann: Handbuch der mittelalterlichen Architektur. Darmstadt 2009, S. 137.
  16. Eva Bambach: Die karolingische Torhalle in Lorsch – sichtbar, erlebbar, konsumierbar? In: Spektrum.de, SciLogs, 22. November 2013.

Koordinaten: 49° 39′ 14″ N, 8° 34′ 8″ O